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Gespinste

2013, Anatomische Sammlung Erlangen

Der Aufbau der Anatomischen Präparatesammlung Erlangen beginnt 1754 zum Zweck der Anfertigung von Lehrmaterial für den Unterricht im Anatomischen Institut. Längst ist die Sammlung zweimal jährlich auch für fachfremdes Publikum geöffnet. Doch der Blick des Laien begegnet dem aus seinem warmen Kontext herausgelösten und zum Objekt erstarrten Präparat niemals in jener rationalen Logik, die dem wissenschaftlichen Modell angemessen ist. Der Gegenstand erscheint als Schatten des Lebendigen, ein Schatten, der beunruhigend und sogar monströs an die eigene Sterblichkeit erinnert.
In meiner Ausstellung Gespinste in der Anatomischen Sammlung Erlangen stelle ich in einer ortsspezifischen Installation ausgewählten Präparaten meine hierfür entwickelten Objekte und Bilder gegenüber – und gebe dem eine Bühne, was sonst an diesem Ort verborgen bleibt.

Um einen Metallguss vorzubereiten, setzt der Gießer an eine Form aus Wachs die ebenfalls wächsernen Platzhalter der sogenannten »Schüsse«, die später den Zufluss des geschmolzenen Metalls ermöglichen und es auf den Gusskörper verteilen. Einer ähnlichen Technik bedient sich der wissenschaftliche Präparator, wenn er die Venen und Gefäße eines Organs als Gussform benutzt und dieses im Verfahren der »verlorenen Form« aus Wachs, Kunststoff oder Metall nachbildet.
In der Werkgruppe Galatea/Gussbaum 1–13 kombiniere ich die technischen Applikationen des Wachsausschmelzverfahrens mit der Herstellungsweise des anatomischen Modells durch den Präparator, verschmelze die technischen Gusskanäle meist mit organischen Körpern zu funktionstüchtigen Gussbäumen aus Wachs.

Während die Wachsobjekte in der Möglichkeit einer Verwendung als Gussform auf ein zukünftiges Ereignis verweisen, ist in der Schleife der Diaprojektion Gespinst eine malerische Handlung dokumentiert. Zu sehen sind 81 Fotografien einer sich fortsetzenden Malerei, die ich auf der Innenseite einer mit dünnem Silber ausgeschlagenen Schädelschale ausgeführt habe. Auf das Knochenrelief mit den feinen Strukturen, Linien und Adern setze ich malerisch Akzente, interpretiere und reagiere auf die Topologie. In diesem werkoffenen Prozess entstehen auf der Schädelinnenseite immer neue Motive und Konstellationen.
Anders als die zu wissenschaftlichen Zwecken hergestellten Präparate der Erlanger Sammlung handelt es sich bei der Schädelschale um einen kultischen Gegenstand, eine sogenannte »Kapala« – die auf dem langen Weg einer Weitergabe in meinen Besitz gelangte. Die »Kapala« findet ab dem 7./8. Jahrhundert, besonders in Tibet und Indien, Verwendung bei tantrischen Ritualen. Sie diente traditionell als Bettelschale, aus der man aß und trank, und wird noch heute »innere Almosenschale« genannt.

Die hygienischen Vorschriften des Präparators und die spirituellen Regeln des Tantrikers bilden jeweils den kulturellen, religiösen und ethischen Rahmen für den Umgang mit dem toten Leib. Die Zerteilung eines Körpers, das Isolieren einzelner Organe und die Gewinnung eines kultischen Gegenstands, stellen einen Akt der Überschreitung, einen Ausnahmezustand dar, der notwendig streng geregelt ist.
Der künstlerische Umgang sowohl mit dem wissenschaftlichen als auch mit dem rituellen Objekt erscheint als eine »Gegen-Überschreitung«, die zum Begriff eines historisch Kontingenten und unabschließbaren Körpers führt.

Gespinst, 2013  

Gespinst, 2013  

Gespinst, 2013  

Gespinst, 2013  

Gespinst, 2013  

Gespinst, 2013  

Gespinst, 2013  

Gespinst, 2013  

Gesinst, 2013  

Gespinst, 2013  

Gespinst, 2013  

 

gespinst, 2013  

Gespinst, 2013