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Frome swerve of shore to bend of bay

2016, Ausstellung in der Thomas Rehbein Galerie, Köln

Text von Alexander Krussig

"Wenn man ein Tuch über den Boden wirft, wird daraus noch lange kein Schuh." Says who? Says Anna Lena Grau.
Ob nicht, oder ob am Ende nicht vielleicht doch daraus ein Schuh wird - woher will man das wissen, bevor nicht alle Anläufe unternommen wurden? Wann hat man sie, alle? Wenn vor Erschöpfung die Kräfte versagen? Wessen Kräfte? Meine, Deine, Seine, Ihre, der Davongegangenen, die wir nicht mehr kennen oder der noch nicht Angekommenen, die wir noch kennen - und anders als das Land, wo die Zitronen blühen nicht mehr kennen werden? Wo die Vorstellung scheitert, kreist unser Auge um ein Objekt, das für uns noch nicht alle seine Missverständnisse entfaltet hat. Wir haben indes Zeit genug, uns der Aufenthalte unserer Wanderung als staunende Seelen zu erinnern. Dieses Bündel an Endlichkeiten in sein Geheimnis eingeschlossen zieht das Objekt traumwandlerisch weiter, vorüber an uns, während wir ihm für ein paar Almosen die Bettelschale unserer wachen Erkenntnis entgegenhalten.

Aufgefangen in einer Schale liegen die Abgussfragmente einer verlorenen Form. Es ist Anna Lena Graus jüngste Arbeit. Feine Spalten durchtrennen sie. Von oben gesehen bilden sie ein quadratisches Raster. Eine Idee von Austauschbarkeit durchfurcht sie, eine Idee, die nicht zur Anwendung gekommen ist. Um diese Abgüsse entnehmen zu können, musste die Form zerstört werden. Daher der Terminus "verlorene Form".
In einer Filmprojektion hingegen taucht sie wieder auf: Ein von oben gefilmter, faltenreicher Tondo. Wie in einem Kleinem Welttheater erhebt sich im seitlich einfallenden Licht das Profil dessen, was wie die Gebirgszüge eines Globus anmutet. Die Lichtquelle kreist im Orbit. Schließt sich die Bahn am Ende zum Kreis, gibt es darauf im Moment keinen sicheren Verweis. Unstet ist das Licht. Nervös flackern die wachsenden und verschwindenden Schatten in einer spontanen Entwicklung, die Einfällen des Zufalls zu entspringen scheinen an Stelle einer lenkenden Absicht. In dieser unvermittelten Bewegung von Schatten und Licht, An- und Abwesenheit erinnert und beschwört der Film weiterhin die Materialität der Form und ist selbst noch dorthin unterwegs. Eine formgebende Idee, sie scheint im Verlauf dieses Abtastprozesses mehrmals aufgegeben und wieder neu aufgenommen zu werden. In diesem unsteten Wechsel unzähliger, einzelner Beleuchtungsstandpunkte, Sakkaden an Seheindrücken, tritt diesseits jeder Prognose das leuchtende, nicht ein beleuchtetes Objekt hervor, und der Betrachter erfährt während er betrachtet staunende Permanenz .
Zurück zu dem, was zum Greifen nah: der Skulptur. Wie im Wellengang durchwühlen die äußersten Ränder der Abgüsse die Schale. Wo der Abguss die Form einst an ihren für das Auge unzugänglichsten Stellen berührte, lugt sie nun wie der Kamm einer Welle bewegt und scharf ins Offene. Das scharfe, gleichförmige Raster von Spalten einerseits und die aufgewühlte Bewegung andererseits stehen einander gegenüber, ohne zu verschmelzen.

Der Titel der Ausstellung from swerve of shore to bend of bay ist dem ersten Satz aus "Finnegan's Wake" entnommen. In ausufernden Anspielungen fragmentarisiert James Joyce eine ehemals "zu Tode abstrahierte" englische Sprache, um sie (fortan) kraft künstlerischer Invention in eine Zirkularität von Werden und Vergehen anzutreiben. Er beginnt mit dem Wort "Riverrun", das die Kraft des Stromes beschwört - der Strom des Unbewussten wie auch den des Wassers, nämlich des Flusses Liffey (ursprünglich An Ruirtheach, „der Heftige“), der die Landschaft "Life" durchfließt. In "Riverrun" klingen "reverie" und "reverence" an: "Träumerische Erinnerung" und "tiefe Ehrfurcht", die man jemandem oder etwas bekennt...

Open Gravity Structure, Foto: Simon Vogel

Pond, Foto: Simon Vogel  

Pond: Foto Simon Vogel  

Pond, Foto: Simon Vogel  

Zyclop, Foto Simon Vogel  

Summit, Foto: Simon Vogel